Europa
| Für wen die Glocke verkauft wird
Auf der Suche nach einer Bong: der globale Handel mit Kirchenglocken
Deutschland plünderte einst Kirchenglocken. Jetzt schickt es sie nach Übersee
GRzegorz Sonnek, der Pfarrer von Radoszowy, einer Kleinstadt im Südwesten Polens, war überrascht, als er einen Brief von einer deutschen Gemeinde erhielt, die ihm anbot, ihm eine Bronzeglocke zu schicken. Die ältesten Gemeindemitglieder erinnern sich noch an den Tag, an dem die Nazi-Truppen die 400 Jahre alte Glocke der Stadt stahlen. Nun plant Herr Sonnek einen besonderen Gottesdienst im Oktober, um die Rückkehr der Glocke zu feiern.
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Achtzig Jahre, nachdem deutsche Truppen Kirchtürme in ganz Europa geschleift haben, versuchen die Kirchengemeinden, einige davon zurückzugeben. Etwa 150.000 wurden während des Zweiten Weltkriegs eingeschmolzen, um Waffen und Kugeln herzustellen. Etwa 25 000 überlebten; sie fanden ihren Weg zu riesigen „Glockenfriedhöfen“, aus denen die deutschen Kirchen ihre Auswahl trafen. Im vergangenen Jahr ging eine Glocke, die den Innenhof einer großen Kirche in Münster schmückte, in das polnische Dorf Slawiecice zurück. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat ein Projekt zur Rückgabe von 54 Glocken.
Doch in den letzten Jahren sind nicht nur gestohlene Glocken, sondern auch einheimische Glocken aus Deutschland abgewandert. Lokale Kirchen schließen, weil die Zahl der Glocken schrumpft. Glockenbörse, ein Online-Marktplatz, kann helfen. Matthias Braun, einer der Mitbegründer, sagt, dass sein Unternehmen seit 2015 den Verkauf von mehr als 66 Tonnen überwiegend deutscher Glocken vermittelt hat. Die eifrigsten Käufer finden sich in Ländern, in denen das Christentum wächst, etwa in Indien und Afrika. Die Kirchen dort mögen den Klang eines Schnäppchens. Nagelneue Glocken kosten in der Regel 30-40 € pro Kilogramm (und können zwischen 5 kg und mehreren Tonnen wiegen). Gebrauchte Glocken kosten nur ein Viertel davon.
Der Handel ist seit der Pandemie „explodiert“, sagt Herr Braun. Kleriker auf der ganzen Welt mussten lernen, wie man aus der Ferne predigt. Jetzt, da sie online sind, sind sie für Unternehmen, die alle Arten von religiösen Produkten verkaufen, leichter zu erreichen. Herrn Braun gefällt der Gedanke, dass bayerische Glocken, vielleicht mit dem Konterfei Martin Luthers graviert, in weit entfernten Kirchen landen könnten. Ein Land, das einst Glocken hortete, verschickt sie heute in die ganze Welt.
Dieser Artikel erschien im Europa-Teil der Printausgabe unter der Überschrift „Going for a bong“.